Kritische Betrachtung von „Kein Täter werden“

 

Das Projekt „Kein Täter werden“ (KTW) wirbt mit dem Slogan „Lieben Sie Kinder mehr, als ihnen lieb ist?“ und suggeriert damit, dass Pädophile zwangsläufig Täter werden oder es bereits sind. Dieser Ansatz verstärkt bestehende Vorurteile und stigmatisiert eine ohnehin marginalisierte Gruppe. Obwohl das Programm Kinder vor „Missbrauch“ schützen möchte, zeigt sich in seiner Konzeption ein problematisches Menschenbild.

Prof. Dr. Klaus M. Beier, ein Vordenker des Programms, beschreibt Pädophile in seinem „Manuale zu Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch“ als Menschen, die auf ihren Sexualtrieb reduziert und als nicht in der Lage dargestellt werden, diesen zu kontrollieren. Sie werden pauschal als Gefahr für Kinder betrachtet und als manipulative Täter skizziert. Dabei übersieht das Programm, dass die Mehrheit der Pädophilen nie Übergriffe begeht und dass ihre Beziehungsideale denjenigen der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Stattdessen wird den Betroffenen die Möglichkeit verwehrt, ihre Individualität und Menschenwürde zu bewahren.

Studien zeigen, dass die Haupttäter von Kindesmissbrauch überwiegend heterosexuelle Menschen sind, die Kinder aus unterschiedlichen Motiven – sexuellen, emotionalen oder gewaltbezogenen – missbrauchen. Das falsche Täterbild, das von KTW propagiert wird, lenkt von diesen komplexen Zusammenhängen ab. Hinzu kommt, dass das Projekt sich an Menschen richtet, die freiwillig Hilfe suchen, wobei die „Freiwilligkeit“ vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung fragwürdig erscheint. Viele der Teilnehmer leiden nicht unter einem Kontrollverlust, sondern an Depressionen, Selbstabwertung und Suizidalität, ausgelöst durch gesellschaftlichen Druck und Ausgrenzung. Doch statt Unterstützung zu erhalten, erleben sie Maßnahmen, die an umstrittene Konversionstherapien erinnern.

 

Besonders problematisch ist das Angebot für Jugendliche unter dem Titel „Du träumst von ihnen“. Es richtet sich an 12- bis 18-Jährige und behandelt diese als potenzielle Täter oder Opfer, was an überholte, schädliche Moralvorstellungen erinnert. Jugendliche in ihrer sensiblen Entwicklungsphase werden dazu gedrängt, sich vor Angehörigen zu outen, was die Persönlichkeitsentwicklung gefährden kann. Die Verwendung von Angehörigen als Kontrollinstanz und die Fokussierung auf rechtliche Vorgaben gehen zu Lasten der Jugendlichen. Eine vorurteilsfreie und einfühlsame Begleitung wäre hier dringend notwendig.

 

 

Das eigentliche Problem liegt in der strukturellen Ausnutzung der verletzlichen Lage der Hilfesuchenden. Der Coming-out-Prozess ist ein Moment großer Verletzlichkeit, der therapeutisches Feingefühl erfordert. Stattdessen wird bei KTW ein Setting geschaffen, in dem Betroffene in eine problematische Definition gezwungen werden, die sie nicht mehr verlassen können. Diese Vorgehensweise ist nicht nur unethisch, sondern auch kontraproduktiv im Hinblick auf den Schutz der Kinder, den das Projekt vorgibt, zu fördern.

 

 

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