Onanie als Ursache – Ein historischer Exkurs
Ein Blick in die Geschichte der Onanie zeigt erschreckende Parallelen zu heutigen Diskursen. Im 17. Jahrhundert erklärte das Protestantentum die Selbstbefriedigung zur Sünde. Im 18. Jahrhundert begannen Mediziner und Pädagogen, Onanie als Ursache für zahlreiche körperliche und psychische Erkrankungen zu interpretieren. Diese Annahme wurde in der Gesellschaft gut angenommen, da sie eine scheinbar einfache Erklärung für unterschiedlichste Krankheitsbilder bot.

 

Im Laufe der Zeit wurden über 100 verschiedene Krankheiten direkt mit Onanie in Verbindung gebracht. Aus heutiger Sicht wissen wir, wie absurd diese Behauptungen waren. Doch wie konnte sich ein solcher Irrtum über Jahrhunderte halten? Zwei zentrale Faktoren spielten eine Rolle: Erstens beteiligten sich renommierte Wissenschaftler, Pädagogen und Mediziner, die ihre Glaubwürdigkeit in den Dienst dieser Theorie stellten. Zweitens griff man auf eine Methode zurück, die ich als monokausale Diagnostik bezeichne. Die Tendenz, eine wahrgenommene Ursache sofort als einzige und vollständige Erklärung für ein Phänomen zu akzeptieren. Sobald eine Krankheit diagnostiziert wurde, suchte man in der Vergangenheit des Betroffenen nach Anhaltspunkten für Selbstbefriedigung. Wurden diese gefunden, stand die Ursache fest. So entstanden scheinbar „wissenschaftliche“ Nachweise für die schädlichen Folgen der Selbstbefriedigung.

 

Besonders Kinder standen im Fokus, da sie als besonders gefährdet galten. Das Onanieverbot wurde mit brutalen Maßnahmen durchgesetzt, die von Kirche, Medizin und Gesellschaft nicht nur gebilligt, sondern gefördert wurden. Wer diese Praktiken infrage stellte, verlor Ansehen und Karriere. So herrschte ein Klima des Schweigens und der Unterdrückung. Über 200 Jahre wurden Kinder Opfer einer selbstgefälligen Elite und einer unkritischen, leichtgläubigen Gesellschaft. Die Nachwirkungen dieser Ära sind bis heute spürbar. Selbstbefriedigung gilt in Teilen der Gesellschaft immer noch als minderwertige Form der Sexualität – völlig zu Unrecht.

 

Parallelen zur Gegenwart
Der Effekt der monokausalen Diagnostik zeigt sich heute in Debatten über Missbrauch und kindliche Sexualität. Untersucht man Menschen mit psychischen oder sozialen Störungen und findet eine sexuelle Erfahrung in der Kindheit, wird diese als Erklärung herangezogen. Diese Praxis führt zu einer verzerrten Wahrnehmung, die „wissenschaftlich“ zu belegen scheint, dass solche Erfahrungen zwangsläufig dauerhafte Schäden verursachen. Das Erlebnis wird automatisch als „Missbrauch“ kategorisiert, wodurch jede alternative Sichtweise als verharmlosend abgetan wird. Gibt es ein anderes Ereignis, dass zur heutigen Problematik geführt hat, wird dieses nicht gefunden. Dem Patienten wird also nicht geholfen. Die Störung bleibt bestehen, es gibt aber keine weitere Suche nach der Ursache, denn die meint man ja zu kennen.

 

Die gesellschaftliche Reaktion auf das Thema Missbrauch weist Parallelen zur historischen Onanie-Hysterie auf. Die Verfolgung von Missbrauch wird häufig als moralischer Imperativ dargestellt, unterstützt von mächtigen Institutionen wie der Kirche, Medizin, und Medien, die das Thema in der Öffentlichkeit stark emotionalisieren. Gleichzeitig wird Kritik an den vorherrschenden Diskursen oft unterdrückt, da diese als Angriff auf den Kinderschutz interpretiert wird. Dies hat mehrere problematische Konsequenzen:

 

  1. Stigmatisierung und Entmenschlichung: Menschen, die von generationsübergreifenden sexuellen Erfahrungen in ihrer Kindheit berichten und nicht der erwarteten Opferrolle entsprechen, werden oft nicht ernst genommen. Ihr Erleben wird relativiert oder abgetan, wodurch sie in ihrer Fähigkeit, über belastende Erfahrungen zu sprechen und diese zu verarbeiten, behindert werden.
  2. Überreaktion und Generalverdacht: In der übermäßigen Fokussierung auf Missbrauchsbekämpfung geraten auch Kinder, Jugendliche und Pädophile in eine Spirale aus Stigmatisierung und Verdächtigungen. Dies trägt zur Ausgrenzung und Kriminalisierung von Personen bei, ohne dass dies immer zur Verbesserung des Kinderschutzes beiträgt.
  3. Repression kritischer Stimmen: Wie in der Onanie-Hysterie, in der Kritiker ihre Karriere riskierten, werden auch heute Wissenschaftler, Pädagogen oder Ärzte, die differenziert über Missbrauch sprechen, oft als Verharmloser stigmatisiert. Dies verhindert eine nüchterne und faktenbasierte Diskussion über Prävention und den Umgang mit kindlicher Sexualität.

Die Parallele zur Onanie-Hysterie liegt darin, dass ein komplexes Thema auf einen monokausalen Zusammenhang reduziert wird („Missbrauch führt immer und automatisch zu Trauma“) und alternative Sichtweisen nicht zugelassen werden. Dies erschwert eine wissenschaftlich fundierte Diskussion und trägt möglicherweise dazu bei, die gesellschaftliche Verarbeitung des Problems zu behindern.

 

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